Paul Hanel Lernen durch Lehren,oderSchüler übernehmen Lehrfunktionen
Die Methode Lernen durch Lehren" wurde Anfang der achtziger Jahre von Dr. phil. Jean-Pol Martin, Fachdidaktiker für Französisch an der Universität Eichstätt, entwickelt. Seit jeher führt er selbst Französischklassen an einem Gymnasium nach dieser Methode, so daß seine Erkenntnisse aus einer Langzeit-studie in der Unterrichtspraxis resultieren und in Form von Informationsblättern didaktischen Briefen sowie Video-Kassetten vorliegen. Daneben hat Martin ein Kontaktnetz geschaffen, dem ca. 400 Lehrkräfte im In- und Ausland angehören. Regelmäßige Treffen ermöglichen den Vergleich und die Erprobung entsprechender Techniken in der Unterrichtspraxis sowie einen regen Erfahrungsaustausch, auf den größter Wert gelegt wird. In dieses Kontaktnetz ist auch der Verfasser dieses Beitrags einbezogen. Hier soll das Modell Lernen durch Lehren" knapp vorgestellt werden; die Informationen sind weitgehend den zahlreichen Rundschreiben sowie didaktischen Briefen entnommen. Zunächst wurde die Methode Lernen durch Lehren" für den Fremdsprachenunterricht - insbesondere für Französisch - konzipiert, sie läßt sich jedoch grundsätzlich auf alle anderen Fächer in allen Schularten übertragen. Mehrere entsprechende Unterrichtsversuche laufen in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch. Als Identifikationsmerkmal für diese Methode stellt Martin heraus. Wenn Schüler einen Lernstoffabschnitt selbstständig erschließen und ihren Mitschülern vorstellen, wenn sie ferner prüfen, ob die Informationen wirklich angekommen sind, und wenn sie schließlich durch geeignete Übungen dafür sorgen, daß der neue Stoff verinnerlicht wird, dann entspricht dies (idealtypisch) der Methode Lernen durch Lehren"1. Nach Ansicht Jean-Paul Martins ist diese Methode für alle Vermittlungstechniken offen. Kriterium ist, daß die Lernprozesse allein durch Schüler eingeleitet und kontrolliert werden. Einschränkend muß jedoch gesagt werden, daß diese Forderung nicht durchgehend zu erfüllen sein wird, denn der Lehrer muß immer wieder eingreifen, um zu präzisieren, zu klären, zusammenzufassen. Bei Zeitknappheit oder zu komplexen Stoffen muß er auch einmal selbst Lehrinhalte vorstellen.2 Martin hebt hervor: Die Methode Lernen durch Lehren läßt sich ohne besondere Genehmigung, mit den üblichen Lehrmaterialien und Stundenplänen und an allen Schulen verwenden. Damit spricht sie besonders Lehrer an, die an einer Regelschule unterrichten und trotzdem alternative Verfahren anwenden wollen".3 Begründung der Methode Wenn es eine primäre Aufgabe der Schule ist, die Schüler zu selbstständigem Urteil und eigenverantwortlichem Handeln" sowie zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in Staat und Gesellschaft zu befähigen"4 , dann sind nach Martin5 in einer Gesellschaft, deren Komplexität und Unüberschaubarkeit zunehmen, vielfältige Kompetenzen erforderlich - bloße Wissensvermittlung und Einübung von Fertigkeiten reichen jedenfalls nicht aus, wenn junge Menschen vorbereitet bzw. befähigt werden sollen, diese Aufgaben zu bewältigen, ihre Umwelt zu gestalten. Die Methode Lernen durch Lehren" ermöglicht es dem Schüler, Rezeptivität und Reaktivität, wie sie im traditionellen Unterricht üblich sind, zu überwinden und durch die Übernahme von Lehrfunktionen den Unterricht weitgehend aktiv selbst zu gestalten. Herkömmliche Unterrichtsprinzipien, wie z.B. die Grundsätze der Individualisierung, der Gemeinschaftspflege, der Entwicklungsgemäßheit, der Selbsttätigkeit, der Lebens- und Gegenwartsnähe, der Toleranz und dgl., werden bei dieser Methode in besonderer Weise berücksichtigt. Die lerntheoretische Fundierung stützt Martin zunächst auf den Informationsverarbeitungsansatz6 ; durch die Einbeziehung zusätzlicher grundlegender Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie7 läßt sich das Modell entsprechend erweitern. Die Methode Lernen durch Lehren" ist nichts völlig Neues Sporadische Beispiele aus der Geschichte der Pädagogik zeigen, daß die Grundidee dieser Methode seit der Reformpädagogik lebendig ist, wenngleich die pädagogischen Intentionen jeweils anders akzentuiert wurden: Hugo Gaudig (1860-1932) fordert 1922, den Schüler aus dem Passivum in das Aktivum zu übersetzen", denn er betrachtet das Handeln des Zöglings" als das Wichtigste; daraus folgert er, die Form des Unterrichts müsse neu bestimmt werden. Der Pädagogik Peter Petersens (1884-1952) liegt die Idee zugrunde, der Lehrer solle bei der schulischen Arbeit völlig in den Hintergrund treten. Er bietet den Lehrstoff nicht dar, er entwickelt nicht und prägt nicht ein, sondern er gibt nur Anweisungen, er beobachtet den Schüler und berät ihn, wenn er fragt...".8 Schüler müssen sich Mittel und Wege je nach Art des Stoffes selber überlegen und gegebenenfalls die Arbeit innerhalb der Gruppe aufteilen. In der wenig gegliederten oder ungeteilten Landschule erwies sich der Einsatz von Schülern als Helfer des Lehrers" (Helfersystem) unumgänglich.9 Als Helfer kommen tüchtige Schüler des gleichen oder eines älteren Arbeitsverbandes in Frage ... Sind sie richtig eingeschult, dann vermögen sie den Lehrer zu entlasten".10 In der heute so bedeutsamen Sozialform des Gruppenunterrichts sollen soziale Verhaltensweisen entwickelt und geübt werden, wie z.B. Helfen und Helfenlassen, gruppeninterne Arbeitsteilung, Kooperation und dgl. mehr. In diesem Zusammenhang kann das Verfahren Lernen durch Lehren" ein besonderes Gewicht erhalten.
Zur Praxis der Methode In Erfahrungsberichten junger Kollegen, die diese Methode in der Schulpraxis erprobt haben, wird darauf hingewiesen, daß es zur Durchführung erforderlich sei, die Tische im Halbkreis oder in U-Form anzuordnen. Der Schüler, der den Unterricht übernimmt, sitzt vor seinen Klassenkameraden (auch mehrere Schüler können gemeinsam den Unterricht gestalten). Der Lehrer kann sich in die Gruppe der Schüler eingliedern und so das Geschehen aus dieser Perspektive mitverfolgen. Die Lerngruppe sollte sinnvollerweise zwanzig Schüler nicht übersteigen; diese müssen in der Lage sein, diszipliniert und kooperativ zu arbeiten. Die Unterrichtsgestaltung durch Schüler entwickelt sich nicht nur aus der Spontaneität heraus, vielmehr erteilt die Lehrkraft Arbeitsaufträge frühzeitig, unterstützt die unterrichtenden" Schüler bei ihrer intensiven Vorbereitung und korrigiert ihre schriftlichen Vorlagen. Die Schüler müssen auch mit dem Einsatz von Medien vertraut gemacht werden. Wie bei der Einführung bestimmter Sozialformen des Unterrichts sollten die Schüler auch bei dieser Methode langsam in das für sie neue Verfahren eingeführt werden, insbesondere, wenn ansonsten weitgehend Frontalunterricht vorherrscht. Die Schüler gestalten Teile des Stundenablaufs, z.B. Wiederholen der Schwerpunkte der vorausgegangenen Stunde, Leiten der Übungsphase oder Diskussionen, Besprechen der mit dem Lehrer vereinbarten Hausaufgaben, Organisieren kleiner Rollenspiele und dgl. mehr. Somit übernehmen die Schüler Schritt für Schritt Funktionen des Lehrers. Zur Einführung eines neuen Textes im Fremdsprachenunterricht schlägt Martin11 in diesem Zusammenhang folgende Schritte vor: 1. Bildung der Arbeitsgruppen 2. Austeilen des Textes 3. Vorbereitung der Textpräsentationen in den einzelnen Gruppen 3.1 Vorbereitung der Wortschatzeinführung 3.2 Vorbereitung des Vorlesens 3.3 Vorbereitung der Kontrollfragen 4. Präsentation im Plenum Dem Lehrer obliegt es, gegebenenfalls am Ende der Präsentationen selbst präzisierend, strukturierend oder zusammenfassend einzugreifen. Er übernimmt auch die Initiative, wenn der Unterrichtsablauf ins Stocken gerät, wenn sich geringfügige Korrekturen oder Ergänzungen als erforderlich erweisen. Urteile bzw. Erfahrungen junger Kollegen, die in der Schulpraxis nach dieser Methode arbeiten
Probleme bzw. Kritik an der Methode Von Praktikern, die nach dieser Methode arbeiten, werden auch Probleme aufgezeigt:
Die Methode Lernen durch Lehren" bringt eine Reihe von interessanten Aspekten im Rahmen eines handlungsorientierten Ansatzes der Didaktik und kann - bei entsprechenden Voraussetzungen - eine wesentliche Bereicherung des Unterrichts darstellen. Als ausschließliche oder beherrschende Methode müßte sie jedoch auch auf grundsätzliche Bedenken stoßen. |