Aufsatz erschienen in: Pädagogik und Schulalltag 51 (1996) 3; Seite 317-324


Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht (Französisch) mit der Methode ,Lernen durch Lehren'

Angelika Wittwer, Hannover

 

Neuorientierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts

Zahlreiche Publikationen, die sich mit der Neuorientierung und Neuordnung des schulischen Fremdsprachenunterrichts sowie den damit einhergehenden nötigen Veränderungen in seiner Didaktik und Methodik befassen, sehen neben dem effektiv gestalteten Aufbau der kommunikativen Fremdsprachenkompetenz und dem übergeordneten Erziehungsziel der Verständigung und Toleranz gegenüber Menschen anderer Sprach- und Kulturgemeinschaften auch die Schulung von sogenannten Schlüsselqualifikationen vor.
Mit diesem aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stammenden Begriff sind neue, übergreifende Qualifikationen gemeint, wie z. B. die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen und zum Wechsel sozialer Rollen, zu Technikverständnis, Kreativität und Planungsfähigkeit. Ebenso soll die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, zur Konfliktbewältigung, zur Mitverantwortung und zur Leistungsfreude aufgebaut werden. Diese Fähigkeiten sollen sozusagen lebenslang als Schlüssel zur raschen und reibungslosen Erschließung von wechselndem Spezialwissen dienen.
Um den Fremdsprachenunterricht an den Bedürfnissen der heutigen Zeit und den vorausgehend dargestellten Forderungen auszurichten, müssen ihm folgende Prinzipien zugrunde liegen:

  • Handlungs- und Schülerorientierung
  • ganzheitliches Lernen
  • sprachliche Interaktion
  • Förderung von Phantasie, Kreativität, Autonomie des Lernens und von Gruppenaktivitäten.

Die fremde Sprache soll im Kontext und als Kommunikationsmittel gelehrt werden, das die Lernenden aktiv und kreativ nutzen.
Die SchülerInnen sind Mitglieder einer sozialen Gruppe, die in der Idealform handlungsorientierten Unterrichts in die Planung und Durchführung von Lernprozessen einbezogen werden soll. Das Curriculum - so wird gefordert -
soll das Ergebnis einer gemeinsamen Verhandlung von LehrerIn und Lernenden sein.
Dies ist - wie auch der nachfolgend kurz beschriebene Erprobungsversuch gezeigt hat - aufgrund einer sinnvollen linguistischen Progression im Fremdsprachenunterricht nicht uneingeschränkt möglich. Wichtig ist aber, daß Lernprozesse immer häufiger selbst zu Lerngegenständen werden, indem das selbständige Lernen kontinuierlich geschult wird.
In diesem Zusammenhang spielt auch die Selbstbeurteilung der Lernenden bzw. die Beurteilung durch den Lehrer oder die Lehrerin als Orientierungs- und Lernhilfe eine große Rolle.
Alle diese zuvor beschriebenen Kriterien finden sich im Unterrichtsprinzip
'Lernen durch Lehren', oft auch als Methode LdL bezeichnet, wieder.
Der folgende Abschnitt soll diese Methode kurz beschreiben.

 

Die Methode ,Lernen durch Lehren'

Die Methode ,Lernen durch Lehren' (im weiteren Text abgekürzt: LdL) wurde zu Beginn der achtziger Jahre von Jean-Pol MARTIN, einem Gymnasiallehrer und Fachdidaktiker an der Universität Eichstätt zuerst für den Fremdsprachenunterricht entwickelt.
MARTIN definiert die Methode folgendermaßen: "Wenn Schüler einen Lernstoffabschnitt selbständig erschließen und ihren Mitschülern vorstellen, wenn sie ferner prüfen, ob die Informationen wirklich angekommen sind und wenn sie schließlich durch geeignete
Übungen dafür sorgen, daß der neue Stoff verinnerlicht wird, dann entspricht dies (idealtypisch) der Methode ,Lernen durch Lehren ." (MARTIN 1989)
Mit seiner Methode wendet Jean-Pol MARTIN sich besonders an LehrerInnen, die an der Regelschule unterrichten, an bestimmte Lehrwerke, an festgeschriebene Lernzielkontrollen und zumeist an den 45-Minuten-Unterrichtsstundentakt gebunden sind.
Dem Lehrer bzw. der Lehrerin ordnet MARTIN folgende Aufgaben zu:

  • das Verteilen von Arbeitsaufträgen an die Lernenden mit zeitlicher Vorgabe
  • die Unterstützung der Lernenden bei ihrer Vorbereitung sowie die Korrektur ihrer schriftlichen Vorgaben bzw. Aussprache und Intonation.

Die Aufgaben der Lernenden sind:

  • die Übernahme des von der Lehrkraft auf einer Karteikarte schriftlich erstellten (Teil-)Stundenverlaufs zu Beginn einer Stunde (einer/mehrere SchülerInnen)
  • die Wiederholung der Inhalte der vorangegangenen Stunde, das Aufrufen der Arbeitsgruppen zur Darbietung neuen Stoffes und die Lenkung der Übungsphase (ein Schüler/eine Schülerin) sowie
  • die mit der Lehrkraft abgesprochene Hausaufgabenstellung für die Folgestunde.

SchülerInnen übernehmen als Lehrfunktionen (auch Grammatik- und Wortschatzvermittlung), müssen somit auch auf sprachliche Korrektheit achten, vergrößern aber auch damit einhergehend ihren authentischen Sprechanteil.
Auf diese Weise wird nach Ansicht MARTINS der sprachdidaktische Zielkonflikt gelöst, in dem die sprachliche Korrektheit des Grammatik-/Übersetzungsunterrichts dem besseren Sprachenlernen in authentischen kommunikativen Situationen gegenübersteht.

Auch der lerntheoretische Zielkonflikt, in dem die Fremdsprache zwar kognitiv z. B. mit der Grammatik-/Übersetzungsmethode als System erfaßt, aber nicht wie z. B. durch behavioristische Verfahren habitualisiert wird, wird nach Meinung MARTINS gelöst. Für die Vermittlung des Stoffes müssen ihn die Lernenden kognitiv angehen, machen ihn sich aber im Unterrichtsgespräch durch ständige Verbalisierung verfügbar.
Ausgehend von den Erfahrungsberichten des von MARTIN initiierten bundesweiten Kontaktnetzes (Kontaktbriefsystem) - einer sehr nützlichen privaten Fortbildung für KollegInnen aller Schulformen und Unterrichtsfächer - hat die Verfasserin einen Erprobungsversuch in einer 8. Realschulklasse (Realschule im Schulzentrum Hannover-Ahlem) im Fach Französisch durchgeführt und dabei das LdL-Unterrichtsprinzip leicht variiert eingesetzt.
Dieser Erprobungsversuch und die dabei erlebten Vor- und Nachteile der Methode LdL sollen nachfolgend beschrieben werden.

 

Ein Erprobungsversuch mit der Methode LdL in einer 8. Realschulklasse im Fach Französisch

Die Klasse 8bR der Realschule im Schulzentrum Hannover-Ahlem besteht aus 28 SchülerInnen, von denen 18 SchülerInnen das Fach Französisch gewählt haben. Von den vier Wochenstunden werden zwei Stunden als Blockunterricht erteilt.
Zum Zeitpunkt des Erprobungsversuchsbeginns stand die Lerngruppe bei der Unterrichtseinheit 58 des Lehrwerks ,Ça va?' Teil 1 (Verlag Moritz Diesterweg) mit dem Titel ,On fait les courses'.
Die Teileinheit umfaßt die folgenden Themen und Inhalte:

Wortschatz Redemittel für das Einkaufen Grammatik
1. Früchte (Auswahl)
2. Gemüse (Auswahl)
3. Backwaren (Auswahl)
4. Lebensmittel (Auswahl)
1. Markt
2. Bäckerei
3. Lebensmittelgeschäft
1. Verben:

sortir
acheter
payer

2. Mengenangaben

Für die Erarbeitung der Lerngegenstände war ein Zeitraum von ca. fünf Wochen vorgesehen, an dessen Endpunkt eine Klassenarbeit stehen sollte.

Organisatorische Voraussetzungen
Bevor mit dem Erprobungsversuch begonnen werden konnte, mußten einige organisatorische Vorbereitungen getroffen werden. Diese Vorbereitungen umfaßten sowohl die Bereitstellung von entsprechenden Lern- und Arbeitsmitteln (z. B. Stifte, Kartonposter, Folien, Tonbandkopien von Lehrbuchtexten, Wörterbücher, den Themen entsprechende Zeitschriftenbilder, landeskundliche Informationsbücher, frz. Realgegenstände aus dem Fundus der Lehrerin u. v. m.) als auch unterrichtsorganisatorische Vorbereitungen. Diese bestanden aus dem Sammeln von auf die Klasse zugeschnittenen Tips für das Erklären von Vokabeln, dem Erstellen einer Memorierhilfe für Verhaltensgrundsätze bei der Gruppenarbeit sowie der Vorbereitung des Unterrichtsgesprächs zu Beginn des Erprobungsversuchs über die Lerngegenstände, Ziele, Methoden und das eventuell zu erstellende Endprodukt des Unterrichts.
Zur schrittweisen Gewöhnung der Lernenden an die Arbeitsweise der LdL-Methode setzte die Verfasserin bereits zu Beginn des 2. Halbjahres der 7. Klassenstufe immer wieder LdL-Teilsequenzen ein, wie z. B.

  • Vorstellung eines zuvor mit der Klasse zusammengefaßten Lektionstextes durch einen oder mehrere SchülerInnen in der Folgestunde als Wiederholung mit Hilfe einer Folie und des Projektors. Geübt wurde so das Zeigen, das Kommentieren, der Medienumgang und das Auftreten vor der Klasse allgemein;
  • Ubernahme von kurzen Vokabeleinführungen, Wiederholungen und Schreibübungen;
  • Vorbereitung einer Vokabelabfrage;
  • Entwicklung von wiederholenden Fragen zu einem Textteil;
  • gegenseitiges Vokabelabfragen am Stundenbeginn in Partner-/Gruppenarbeit;
  • Durchführung der Korrekturen von Übungen aus dem Arbeitsheft mit der Klasse;
  • Herausarbeiten von Schlüsselinformationen aus Grammatikkapiteln (Grammatikbeiheft)/einer Textstruktur und deren Darstellung an der Tafel u. v. m.

Für den dazu nötigen Klassenraumdiskurs der SchülerInnen wurde der Lerngruppe zum selben Zeitpunkt in Anlehnung an MARTINS Vorschläge eine entsprechende Redemittelliste verfügbar gemacht. Bei der Zusammenstellung der Liste wurde darauf geachtet, daß die Lernenden miteinander reden können, die Lehrkraft also weitestgehend im Hintergrund bleibt, bei Bedarf aber einbezogen werden kann.

Besprechung der Inhalte, Ziele und Vorgehensweisen
Am Beginn des Erprobungsversuchs stand ein kurzes Unterrichtsgespräch über die Inhalte, Ziele und Vorgehensweisen des zu erarbeitenden Lektionsteils. Aufgrund des begrenzten Umfanges des vorliegenden Erfahrungsberichts kann dieses Gespräch nicht ausführlich beschrieben werden. Deshalb seien hier seine drei wichtigsten Ergebnisse aufgeführt:

  • das gemeinsame Bewußtmachen und Überdenken der Inhalte und Ziele des Lernstoffes;
  • die gemeinsame Entscheidung über das zu erstellende ,Endprodukt';
  • die Entwicklung einer ,SchülerInnenideenbörse' zu den Verfahrensweisen bei der Erarbeitung bzw. Vorstellung des Lernstoffes.

Aufstellen des Arbeitsplanes
Ausgehend vom Lernstoffraster, den Lektionstexten sowie dem noch zu ergänzenden Lernstoff (zusätzlicher Wortschatz bzw. Redemittel) wurde nun der Arbeitsplan mit Zeit-, Themen- und Personenangaben erstellt und im Klassenraum aufgehängt.
Der Erprobungsversuch bestand aus 20 Unterrichtsstunden. In 8 Stunden wurde jeweils vorbereitende Gruppenarbeit/Partnerarbeit betrieben. SchülerInnen, die ihre Vorbereitungen bereits abgeschlossen, mit der Lehrerin besprochen, vervollständigt und korrigiert hatten, beschäftigten sich dann mit lernstoffvertiefeder bzw. -erweiternder Freiarbeit. 8 Unterrichtsstunden wurden für die Lernstoffvermittlung durch die SchülerInnen benötigt. Das einführende Unterrichtsgespräch und die abschließende Befragung (Schülermeinungen) nahmen 2 Stunden ein. In den restlichen 2 Stunden wurde wiederholt bzw. eine Klassenarbeit geschrieben.

Gruppenarbeit
In der Gruppen- bzw. Partnerarbeit entschieden die SchülerInnen zusammen mit der Lehrerin darüber, ob der von ihnen zu vermittelnde Lernstoff zur Erreichung der Ziele ausreichend war oder noch ergänzt werden sollte. Dies war in einigen Fällen nötig (z. B. bei den Obst-, Gemüse- und Lebensmittelsorten bzw. den Mengenangaben).
Danach wurde besprochen, welcher Schüler/welche Schülerin die Stunde mit der Wiederholung oder Hausaufgabenkontrolle einleitet, wer neuen Lernstoff einführt, wer ihn mit der Klasse übt und wer die Stunde beendet. Ebenso wurde vereinbart, wer die notwendigen Medien - sofern nicht vorhanden - herstellt.
Abweichend von der Methode LdL nach MARTIN gab es also keinen direkten Leiter der Stunde. Der
Übergang von einer Phase zur nächsten vollzog sich, indem der jeweilige Schüler/die jeweilige Schülerin die nachfolgende Aktivität ankündigte.
Bei schwierigen Aufgaben ihrer Vorbereitungen (z. B. Vokabeleinführungen und Angaben der Phasenübergänge in frz. Sprache) halfen sich die SchülerInnen gegenseitig oder baten die Lehrerin um Unterstützung.
Die Stundenvorbereitungen wurden von Lernenden in Kurzform aufgeschrieben und mit der Lehrerin besprochen bzw. korrigiert.

Stundenaufbaukarte
Nach der Besprechung und Korrektur der Vorbereitungen konnten die jeweiligen SchülerInnen das Kärtchen mit dem endgültigen Stundenablauf in frz. Sprache erstellen. Die Karte diente ihnen zum einen als kleiner ,Wegweiser' durch die Stunde, zum anderen konnten sie ihr auch die frz. Formulierungen für die Phasenübergänge entnehmen (z. B. Aujourd'hui, on apprend ...; Ecrivez les mots dans vos cahiers; Maintenant on joue ...).

Methodische Vorgehensweisen
Wie vorauszusehen war, fiel es den meisten SchülerInnen trotz ihrer vielfältigen Ideen schwer, methodische Vorgehensweisen für die Lernstoffvermittlung zu entwickeln. Hier war die Hilfe durch die Lehrerin besonders nötig. Im Zusammenhang mit dem Erprobungsversuch wurde aber bereits ein kleiner, noch zu ergänzender ,Methodenkatalog' für die Stundeneröffnungen, die Lernstoffeinführung und Übung angelegt, auf den in Zukunft zurückzugreifen ist.

Das Endprodukt
Die Idee der Zusammenstellung des Gelernten als eine Art Kurznachschlagewerk mit dem Titel ,On fait les courses -Vocabulaire, structures et informations' kam von den SchülerInnen, die an der Schüleraustausch-AG teilnahmen. Das Nachschlagewerk, das von den SchülerInnen außerdem kreativ ausgestaltet wurde, besteht aus den frz. Bezeichnungen für eine Auswahl von Geschäften und Kaufhausabteilungen, Redemittel für einen Einkauf, Informationen zu Ladenöffnungszeiten, Obst-/Gemüsesorten, Backwaren und allgemeine Lebensmittel.
Auf dieser ,Stoffsammlung' baute - in variierter Form - auch die Klassenarbeit auf, die den Abschluß der Unterrichtssequenz bildete.

 

Die Vorteile der Methode ldL

Handlungsorientierter Französischunterricht im Sinne der Methode LdL beinhaltet zahlreiche Vorteile, von denen nun einige dargestellt werden sollen.
Einer der größten Vorteile ist sicherlich die gute Kombinierbarkeit dieses Verfahrens mit anderen Verfahren wie Projektunterricht, Freiarbeit und einzelnen Dimensionen handlungsorientierten Unterrichts (BÖNSCH 1991).
Von den Erfahrungen während des Erprobungsversuchs ausgehend, erwies sich vor allem der Zuwachs an Umgang mit der Fremdsprache als vorteilhaft. Der größte Sprechanteil lag jetzt während der Unterrichtsstunden bei den SchülerInnen. Sie haben - wenn auch zuerst nur ansatzweise - gelernt, in der Fremdsprache über die Fremdsprache zu sprechen, miteinander zu reden und mehr fremdsprachliches Wissen zu gewinnen.
Neben der Vermehrung von fremdsprachlicher Kompetenz war ebenso ein Zuwachs allgemeiner Kompetenzen durch LdL auszumachen. Die anfängliche Angst, vor MitschülerInnen ,auftreten' zu müssen, verschwand zunehmend. Ein Gewinn an Selbstvertrauen war die Folge.
Auch wenn der Aufbau der methodischen Kompetenz der Lernenden am Anfang sehr mühevoll war, kon
nten in diesem Bereich ebenfalls kleine Fortschritte festgestellt werden. Es war für die Verfasserin interessant zu beobachten, über welchen Ideenreichtum und über welche Kreativität viele SchülerInnen verfügen. Diese oft unentdeckten Fähigkeiten gilt es nun weiterhin zu nützen, da sie sich sowohl fächer- und fachbereichsübergreifend als auch für spätere berufliche Tätigkeiten einsetzen lassen bzw. zu gebrauchen sind.
In diesem Zusammenhang muß ebenso der Vorteil der Schülerkommunikation in der Gruppen- bzw. Partnerarbeit erwähnt werden. Neben dem Miteinander- bzw. -Voneinanderlernen konnten hier die Techniken des selbständigen Lernens und Erarbeitens hervorragend trainiert werden. Da LdL Selbstgestaltung und -bestimmung fördert, entspricht die Methode einem fortgeschrittenen Demokratieverständnis und Emanzipationsbewußtsein.
Auch der aktive Umgang mit Medien wurde zunehmend geschult, indem mit
Medien etwas gelernt, mit ihrer Hilfe anderen etwas vermittelt und sie auch zum Teil selbst gestaltet wurden.
Bei ihrer durchweg positiven Bewertung von LdL gaben die SchülerInnen in der Befragung an, sie hätten es interessant gefunden, als ,LehrerIn
' aufzutreten und zu handeln. Der Wechsel in die Lehrerrolle hat ihnen offensichtlich eine andere Sichtweise dieser Rolle eröffnet, die sich auf das LehrerInnen/SchülerInnen-Verhältnis allgemein sehr positiv auswirkt.
Für die Lehrkraft eröffneten sich umgekehrt Sichtweisen, die zukünftig von der meist doch dominanten LehrerInnenrolle zum helfenden, beratenden und auch
beobachteten Lehrer führen werden.
An allererster Stelle der positiven Erfahrungen mit LdL aber stand für die Autorin ebenso wie für die Lernenden der Spaß am Unterricht, den die Arbeit mit der Methode gebracht hat.
Viele KollegInnen können sicherlich die Erfahrung bestätigen, wie schwierig es heutzutage oft bleibt, trotz eines großen Lehr- und Lernmittelangebotes und der Anwendung verschiede
nster methodischer ,Kniffe' den Unterricht so zu gestalten, daß er effektiv ist und zugleich Spaß macht, ja sogar spannend ist. Die Arbeit mit LdL hat dazu - wie auch die SchülerInnen fanden - einen sehr wirkungsvollen Beitrag geleistet.

 

Konsequenzen, Grenzen und Nachteile von LdL

Trotz aller Begeisterung darf nicht verschwiegen werden, daß die Methode LdL auch Konsequenzen, Grenzen und Nachteile mit sich bringen kann.
Das größte Problem bestand in der fehlenden SchülerInnen-Methodenkompetenz und mangelndem Wissen verbunden mit der noch unzureichenden Sprachkompetenz bei SchülerInnen des mittleren Niveaus. SchülerInnen vergaßen teilweise Inhalte, die nach der Korrektur durch die Lehrkraft in die Vorbereitung aufgenommen wurden. Ebenso wurden schwierige Lernstoffabschnitte häufig von Lernenden nicht als solche erkannt, was bei der Vermittlung dann nicht bedacht wurde. Auch Fehler in der Syntax, im Schriftbild und in der Aussprache bzw. Intonation traten auf. Sie entstanden durch mangelnde Vorbereitung einiger SchülerInnen. Derartige Fehler müssen im Unterricht sofort korrigiert werden damit sie sich nicht einschleifen.
Mangels genügend
Übung im sonstigen Unterrichtsalltag gingen SchülerInnen teilweise mit Medien nur unzureichend um (bes. Kassettenrekorder, THP/Folien), was sich bei ausreichenden Erprobungsgelegenheiten jedoch bald bessern dürfte.
Anlaß zur Kritik bot bei der Stoffvermittlung durch die Lernenden auch der weiterhin hohe Anteil von Frontalunterricht, verbunden mit der Gefahr, ständig das Lehrbuch zu benutzen. Hier muß - angeregt durch die Lehrkraft - für genügend Partner- und Gruppenarbeit in frz. Sprache (z. B. bei
Übungen) gesorgt werden.
Die vorbereitende Gruppenarbeit vollzog sich bei der Erprobungslerngruppe problemlos. Bei anderen Lerngruppen können aber sicherlich Unruhe oder Disharmonien entstehen bzw. einzelne Schüle
rInnen durch andere von der Arbeit abgelenkt werden, was zu Verzögerungen im Zeitplan führen kann. Dies dürfte besonders dann der Fall sein, wenn Lerngruppen nicht an Gruppenarbeit gewöhnt sind.
Ein großes Problem stellte sich für die Autorin bezüglich der SchülerInnenkommunikation in der Gruppenarbeit. Das Prinzip der Einsprachigkeit wird hier durchbrochen
, denn Lernende des mittleren Sprachniveaus können diese Arbeit nicht in der Fremdsprache leisten. Dies mag auch einer der Hauptgründe sein, warum sich weniger KollegInnen, die ausschließlich dieses Niveau unterrichten, auf die LdL-Methode einlassen wollen bzw. auch weniger entsprechende Erfahrungsberichte darüber vorliegen.
Im Zusammenhang mit der Scheu, die Methode im eigenen Unterricht erproben zu wollen, muß ebenso der dazu nötige größere Zeitaufwand in Planung, Organisation und Durchführung
des Unterrichts für LehrerInnen und SchülerInnen erwähnt werden. Das erhebliche Maß an zwar lohnender und zum Teil auch später entlastender Mehrarbeit schreckt viele Interessierte ab, denn LehrerInnen sind heute neben ihrer Lehrertätigkeit bekannterweise mit vielen kräftezehrenden organisatonschen und sozialpädagogischen Aufgaben belastet.

 

Perspektiven

Abschließend muß darauf hingewiesen werden, daß die durch den Erprobungsversuch gewonnen Erkenntnisse nicht als repräsentativ gelten können und durch zusätzliche Erfahrungen auch in der Arbeit mit anderen Lerngruppen erweitert und ergänzt werden müssen. Dies wird in Zukunft geschehen, indem die Methode von der Verfasserin zuerst weiterhin schrittweise in Teilbereichen des Unterrichts, im Projektunterricht jedoch in ihrer vollständigen Form eingesetzt werden wird.
Gerade für den Aufbau der Methodenkompetenz bei den SchülerInnen ist diese Pädagogik der kleinen Sc
hritte unerläßlich. Geduld und Ausdauer von Lehrerin und SchülerInnen werden sich aber nach Meinung der Autorin bei den weiteren Ergebissen sicherlich auszahlen, wenn Lernende selbst schon nach wenig Zeit zu solch erfreulichen Leistungen fähig sind.

 

Literatur
BÖNSCH. M.: Variable Lernwege - Ein Lehrbuch der Unterrichtsmethoden. Paderborn 1991
MARTIN, J.-P.: Einige Grundgedanken zur Methode und zum Kontaktnetz. Eichstätt 1989
GRAEF, R./PRELLER, R.-D. (Hrsg.): Lernen durch Lehren. Rimbach 1994

KollegInnen aller Unterrichtsfächer, die am Kontaktbriefsystem interessiert sind, wenden sich bitte an:

Dr. Jean-Pol MARTIN
Universität Eichstätt
Fachdidaktik des Französischen
Ostenstr. 26-28
85071 Eichstätt


Angelika Wittwer, Dipl.-Pädagogin und Realschullehrerin, Fachbereichskonferencleiterin für Sprachen an der Realschule im Schulzentrum Hannover-Ahlem; Fächer: Englisch, Französisch, Petit-Couronne-Str. 30, 30453 Hannover