Nach längerer Abstinenzzeit möchte ich das Tagebuch über meinen
Unterricht fortsetzen.
Zur Zeit unterrichte ich eine Gruppe von 17 Schülern, die Französisch
als dritte Fremdsprache lernen, d.h., dass sie 5 Stunden in der Woche
mit mir verbringen und dass sie Kenntnisse in Latein haben. Die Klasse
hat letztes Jahr mit mir Französisch in der 9. begonnen und ich führe
sie nun in der 10. weiter. Die Gruppe ist sehr lebhaft, kreativ, verfügt
über eine Reihe von starken Persönlichkeiten. Sie ist in der Lage,
durchgängig konzentriert zu arbeiten. Aus meiner Sicht hat sich mein
LdL-Unterricht durch die Arbeit mit diesen Schülern stark
weiterentwickelt.
- Verantwortung
über den Ablauf einer Lektion einem Schüler übertragen:
Sehr bald, etwa nach sechs Monaten, habe ich einen Schüler gebeten,
die Verantwortung für eine ganze Lektion zu übernehmen. Seine
Aufgabe war, den ganzen Stoff (Wortschatz, Texte und Grammatik) auf
die Klasse zu verteilen und dafür zu sorgen, dass der Ablauf
reibungslos erfolgt. Er musste also die Arbeit von zwei bis drei
Wochen überblicken und verantworten. Nach einigen kleineren
Anpassungsproblemen meisterten die Schüler diese Aufgabe so überzeugend,
dass ich diese Technik seitdem beibehalten habe. Sehr erfreulich war
beispielsweise, dass am Ende des Schuljahres, zu einer Zeit, in der
wir im Stoff etwas zurücklagen, Sebastian seinen Ehrgeiz darin
steckte, das Buch abzuschließen. Es gelang ihm bravourös. Bisher
waren zwei Schüler (Michaela und Sebastien) in der Lage, diesen
anspruchsvollen Auftrag zu erfüllen. Dieses Jahr werde ich
versuchen, weitere Schüler heranzuziehen.
- Die
Aufteilung des Stoffes:
Auch hier eine deutliche Modifikation. Die neue Grammatik wird auf
etwa 4 Schüler verteilt (wie schon immer). Der neue Text aber wird
nicht mehr in kleinen Abschnitten eingeteilt, sondern als Ganzes
einer Gruppe von etwa 6 bis 7 Schülern übertragen. Das eröffnet
diesen Schülern die Möglichkeit, die Inhalte des ganzen Textes
vorzuspielen, oder pantomimisch darzustellen. Auch der Wortschatz
zum neuen Text wird nicht mehr nach Textabschnitten unterteilt,
sondern drei Schülern vergeben mit dem Auftrag, bereits im Voraus
den ganzen neuen Wortschatz vorzustellen. Zusammenfassend: die
Gruppen sind größer und haben deutlich mehr zu tun. Eine
4er-Gruppe stellt die ganze Grammatik vor, eine 3er-Gruppe stellt
den ganzen Wortschatz vor und eine 7er-Gruppe stellt den ganzen Text
vor. Ein Schüler hat die Übersicht und trägt die Verantwortung für
die ganze Lektion.
- Die
Techniken zur Wortschatzpräsentation:
Am
Anfang arbeiteten die Schüler traditionell, also mit Folien
(Zeichnungen, Wortgleichungen usw.). Dazu kamen bald Pantomimen,
oder das Erraten lassen (en latin on dit "descendere" pour
"hinuntersteigen"; et en français?). Das Raten wird auch
sehr gerne bei Grammatikpräsentationen eingesetzt
("finir" veut dire "beenden"; essayez de
conjuguer "finir").
Seitdem ich einen Moderatorenkoffer mit Kärtchen, Stiften, Farben
etc. dabei habe, haben die Schüler neue Techniken der Wortschatzpräsentation
entwickelt:
- Sie
zeichnen auf einem Kärtchen einen Gegenstand (z.B. Wolken) und
auf einem anderen schreiben sie das Wort "nuage". Bei
der Präsentation kleben sie die Zeichnung an die Tafel und dazu
dann die schriftliche Entsprechung. Diese Vorlage eröffnet dann
eine Fülle von Übungsmöglichkeiten (Wort allein, ohne
Zeichnung, Zeichnung allein, Abdecken, Bilder nacheinander der
Klasse zeigen und Wörter abfragen usw.). Ich behalte diese Kärtchnen
und lasse ab und zu Wortschatzwiederholungen durchführen.
- Eine
andere Möglichkeit ist, ohne vorherige Entlastung des
Wortschatzes einen neuen Text gleich vorzustellen. Beim Auftreten
eines unbekannten Wortes wird ein Gegenstand oder eine Zeichnung
gezeigt, die das unbekannte Wort verbildlicht. So wird der neue
Wortschatz gleich im Kontext eingeführt.
- Eine
neue Form der Wortschatzeinführung, die aber noch nicht zu 100%
funktioniert: die mit der Einführung des neuen Wortschatzes
betrauten Schüler erfinden einen Text mit den neuen, unbekannten
Wörter und diktieren ihn. Beim ersten mal hat es nicht geklappt,
weil alle Wörter des Diktates unbekannt waren. Ich denke, beim nächsten
Mal wird es besser gehen, wenn die Schüler mehr Bekanntes mit
Unbekanntem vermischen.
- Textvorstellung:
Sehr gerne wird der Text als Rollenspiel präsentiert. Aber alle
anderen Techniken kommen auch zur Anwendung:
- ein
Schüler trägt eine knappe Zusammenfassung des Inhaltes
anschaulich (ohne zu lesen) vor und stellt Fragen im Anschluss;
- oder
die Kassette wird gleich, ohne vorherige Einführung mit
Unterbrechungen vorgespielt; im Anschluss werden Fragen
gestellt;
- es
wurde auch einmal ein kleiner Videofilm von den verantwortlichen
Schüler mit den neuen Textinhalten angefertigt und dem Rest der
Klasse als Erstbegegnung vorgespielt.
- Die
Neuerfindung (Michaela, Ramona, Sandra): Die wesentlichen
Stellen des neuen Textes sind von den verantwortlichen Schülerinnen
auf insgesamt 14 Kärtchen geschrieben worden. Es wurde 2
Gruppen gebildet, die jeweils 7 Sätze bekommen haben. Sie
sollten aus diesen Sätzen eine zusammenhängende Geschichte
erfinden. Im Anschluss kamen die 7 Schüler nach vorne, jeder
hielt ein Kärtchen mit einem Satz in der Hand und trug diesen
Satz vor. Das Ganze bildete eine Geschichte. Eine tolle Idee!!!
PS: Mehr beiläufig habe ich mir kürzlich ein Feed-Back eingeholt
(wir waren gerade mit der ersten Lektion fertig und ich hatte eine
Extemporale gehalten).
Was die Schüler an mir partout nicht mögen:
- Dass ich zu schnell interveniere und ihre Präsentationen
durcheinander bringe. Ich sollte darauf vertrauen, dass sie auch
bei Schwierigkeiten alleine zurechtkommen. Dieser Vorwurf höre
ich seit 20 Jahren immer wieder. Es fällt mir schwer, mich zurückzuhalten.
Heute haben zwei Schüler die Texte B und C (in Cours intensif 2)
in kleinen Abschnitten eingeteilt und auf ihre Mitschüler
verteilt. Sie haben eine Übersicht angefertigt mit den Schülernamen
und den jeweiligen Aufgaben. Sie werden nun etwa zweieinhalb
Wochen die Verantwortung über den Ablauf der Stunden tragen. Es
ist wirklich beachtlich, was diese Klasse leistet...Meine Aufgabe
reduziert sich auf das Anfertigen von zusätzlichen Übungsblättern
und Tests und auf das Korrigieren von Fehlern. Alle anderen
Interventionen werden von den Schülern sehr streng zurückgewiesen!
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