Didaktischer Brief II Seitdem ich meinen ersten Brief verfaßt habe, ist mehr als ein Jahr vergangen. Auf Fortbildungsveranstaltungen konnte ich die Methode etwa 750 Kollegen vorstellen, davon haben 300 den didaktischen Brief gewünscht. Wie viele das Konzept ganz oder teilweise übernommen haben, weiß ich nicht. Auf jeden Fall glaube ich, daß ein Interesse an einem zweiten Brief besteht, und ich möchte nun schildern, wie die Text- und Grammatikpräsentationen und wie landeskundliche Referate gehalten werden. Eines muß ich allerdings vorausschicken: Auf dem Hintergrund meiner fünfjährigen Erfahrung mit diesem Ansatz meine ich, daß zu seiner erfolgreichen Anwendung zwei Voraussetzungen erfüllt werden müssen:
1. Die Einführung eines neuen Textes Nach etwa sechs Monaten sind die im Brief I dargestellten Verfahren so weit automatisiert, daß sich die Schüler dem Erwerb neuer Techniken widmen können. Ich selbst habe ab der 11.Lektion im Cours de base alle Texte vorstellen lassen (2). 1.1. Die Bildung der Arbeitsgruppen Bei Textpräsentationen fallen drei Aufgabentypen an: die Einführung der neuen Wörter, das Vorlesen des Textes und des Stellen von Kontrollfragen. Dementsprechend empfiehlt es sich, Dreiergruppen zu bilden. Auf die personelle Zusammensetzung nehme ich keinen Einfluß: jeder weiß am besten, mit wem er arbeiten möchte. 1.2 Die Verteilung des Stoffes Die Lektion wird so aufgeteilt, daß jede Arbeitsgruppe einen vom Umfang her geeigneten Abschnitt zur Aufbereitung bekommt. Am Anfang, solange die Schüler noch nicht mit den Präsentationstechniken vertraut sind, werden nur kurze Textabschnitte vergeben. So habe ich beispielsweise die Lektion 11 in sechs Abschnitte aufgeteilt, die jeweils nur 40 Wörter umfassen. 1.3 Die Zeit zur Vorbereitung Die Vorbereitung der Textpräsentationen findet im Unterricht statt. Die Klasse bekommt 20 Minuten zur Verfügung. In dieser Zeit bearbeiten die einzelnen Gruppen ihren jeweiligen Textabschnitt gleichzeitig. Auf diese Weise liegen am Ende der 20 Minuten die gesamten Textpräsentationen auf Vorrat vor und können eine nach der anderen aufgerufen werden. 1.4 Die Vorbereitung der Textpräsentationen in den einzelnen Gruppen Wie bereits erörtert fallen bei den Textvorstellungen drei Aufgabentypen an: die Einführung des neuen Wortschatzes, das Vorlesen des Textabschnittes, und das Stellen einiger Kontrollfragen. Jede Aufgabe wird einem Schüler anvertraut. Grundsätzlich sollte innerhalb der Arbeitsgruppen rotiert werden, so daß von Präsentation zu Präsentation die einzelnen Schüler den Aufgabentyp wechseln. 1.4.1 Die Vorbereitung der Wortschatzeinführung Jeder mit der Vorstellung des Wortschatzes befaßte Schüler bekommt eine Folie und Stifte. Er liest seinen Textabschnitt und schreibt die unbekannten Wörter heraus. Bei dieser Arbeit zieht er das vom Verlag mitgelieferte Vokabelbüchlein zu Rate und erarbeitet Wortschatzerklärungen auf Französisch. Es hat sich gezeigt, daß die Schüler die im Vokabelbuch angebotenen Erläuterungen nur selten unverändert übernehmen: sie ziehen es vor, eigene Präsentationen zu entwickeln. Ferner lassen sie bei der Wortschatzdarbietung viele Wörter aus, sei es, weil diese leicht zu erschließen sind, sei es, weil diese bereits vorher ad hoc im Unterricht eingeführt wurden. Auf diese Weise wird Zeit gewonnen. Vor Abschluß ihrer Vorbereitungsarbeit bitten die Schüler den Lehrer, die neuen Wörter mehrmals vorzulesen, damit sie sich die Aussprache gut einprägen können (3). 1.4.2 Die Vorbereitung des Vorlesens Auch hier wird der Lehrer vom verantwortlichen Schüler gebeten, ihm den Text vorzulesen, damit die Aussprache ds unbekannten Textes korrekt memoriert wird (4). Die Bedeutung des Abschnittes wird geklärt, damit er sinngemäß und anschaulich vorgetragen werden kann. Anschließen übt der Schüler mehrmals das Vorlesen und versucht, den Text soweit zu verinnerlichen, daß er später in der Lage sein wird, seine Blicke von der Vorlage abzuwenden, um sein Publikum anzusehen. 1.4.3 Die Vorbereitung der Kontrollfragen Der betreffende Schüler bereitet Fragen vor, mit deren Einsatz nach dem Vortrag geprüft werden kann, ob auch schwierigere Stellen verstanden worden sind. Der Lehrer muß am Anfang auf diese Zielsetzung hinweisen und dem Schüler beim Formulieren der Fragen behilflich sein. Bald aber wird diese Phase allmählich auch ohne Hilfe des Lehrers immer eigenständiger und kreativer gestaltet. 1.5 Die Präsentation im Plenum Am Ende der 20 Minuten, nachdem also die einzelnen Vorbereitungen in den Arbeitsgruppen abgeschlossen sind, kann mit der eigentlichen Präsentation im Plenum begonnen werden. Die Gruppen stellen ihre Textabschnitte der Reihe nach vor. Natürlich wird der Lehrer den Ablauf jederzeit unterbrechen können, um eine Übung, eine Grammatikerklärung oder eine Zusammenfassung einzuflechten. Prinzipiell aber sind die einzelnen Präsentationen nach Bedarf "abrufbar". Nun zu den Präsentationen selbst: Der Schüler, der den Wortschatz vorstellt, versucht so frei wie möglich zu sprechen und benutzt bei seiner Arbeit die von ihm vorbereitete Folie mit den neuen Wörtern und die eventuell zur Verfügung stehenden Wandtafeln oder Bildfolien. Nach jeder Erklärung versichert er sich durch eine Kontrollfrage, daß diese wirklich verstanden wurde. Während er an der Tafel agiert, müssen die beiden anderen Mitglieder seiner Gruppe im Hintergrund bleiben, damit die Zuhörer nicht abgelenkt werden (das ist wichtig!). Nachdem der neue Wortschatz eingeführt wurde, ist nun der "Leser" an der Reihe. Er bittet seine Mitschüler, die Bücher geschlossen zu halten ("Fermez vos livres, SVP"), während er den Text vorträgt. Beim Vorlesen vergewissert er sich durch Blickkontakt, daß seine Publikum seine Ausführungen versteht; gegebenenfalls wiederholt er die schwierigen Textstellen. Als letztes werden die Kontrollfragen zum Text gestellt. Der Schüler lernt allmählich durch Steuern des Gespräches präzise Antworten von seinen Klassenkameraden zu bekommen. Nach der Präsentation werden unter Anleitung der Arbeitsgruppe die neuen Wörter ins Vokabelheft eingetragen und der Textabschnitt wird mehrmals im Plenum gelesen. Während des Präsentationsvorganges sorgt der Lehrer dafür, daß die Informationen wirklich verständlich vermittelt und von den Adressaten aufgenommen werden. Insbesondere, daß
Ferner obliegt dem Lehrer die Aufgabe, am Ende von Präsentationen eventuell selbst präzisierend, strukturierend, zusammenfassend einzugreifen. 1.6 Die Textpräsentationen im dritten und vierten Lernjahr Während sich die Schüler in den ersten Lernjahren noch streng an das traditionelle Präsentationsschema halten, werden die Vorstellungsstrategien mit fortschreitendem Lernprozeß immer individueller und vielfältiger. Auch der Umfang der zur Bearbeitung verteilten Textabschnitte läßt sich bald erweitern, so daß es möglich wird, einen ganzen Lektionstext von zwei Schülern vorstellen zu lassen. Organisatorisch heißt es, daß bei der Aufgabenverteilung drei bis vier Lektionen im voraus vergeben werden müssen. Die Klasse bekommt auch hier nur 20 Minuten Vorbereitungszeit. Deshalb können lediglich die organisatorischen Aspekte innerhalb der einzelnen Arbeitsgruppen und die dringendsten Inhaltsfragen mit Hilfe des Lehrers geklärt werden. Die restliche Vorbereitung erfolgt außerhalb der Unterrichtszeit, stellt für die Schüler aber keine übertriebene Belastung dar, weil der Vorgang höchstens alle sechs Wochen wiederkehrt. Bei diesem Verfahren bekommen also alle Gruppen gleichzeitig vorgegeben, welche Lektion sie bearbeiten sollen. Die effektiven Präsentationen geschehen der Reihe nach, so daß die letzte Gruppe erst sechs Wochen später gefordert ist. 2. Die Einführung eines Grammatikkapitels durch die Schüler Während die Präsentationen von Texten relativ unproblematisch verläuft, stellen Grammatikeinführungen komplexere Aufgaben dar, die zwar von den Schülern gerne übernommen werden, die aber vom Lehrer eine besonders sorgfältige Nacharbeit verlangen. Organisatorisch läßt sich der Vorgang mit dem von Textpräsentationen vergleichen. Am Anfang sollten kleine Grammatikabschnitte zur Bearbeitung angeboten werden. Hier dürften zwei Schüler pro Arbeitsgruppe die richtige Zahl sein, denn bei komplexen Aufgabentypen empfiehlt es sich, eher weniger als zu viele Mitglieder einzubeziehen. Bei einer Grammatikpräsentation könnte ein Schüler sich schwerpunktmäßig mit den Beispielsätzen und den anschließenden Übungen befassen und der andere mit der Herausarbeitung von Regeln und paradigmatischen Überblicken. Grammatikpräsentationen habe ich erst am Ende des zweiten Schuljahres und auf Wunsch der Schüler vornehmen lassen (5). Grundsätzlich muß betont werden, daß im Anschluß an Schülerdarbietungen eine Präzisierung und Strukturierung durch den Lehrer notwendig sein wird. Man könnte sich fragen, welchen Vorteil ein solches Verfahren bietet, wenn der Lehrer ohnehin nachstrukturieren muß! Nun zeigt sich, daß die Grammatikdarbietung als anspruchsvolle Aufgabe aus motivationaler Sicht eine starke Einbindung der befaßten Schüler bewirkt. Günstig ist aus fachspezifischer Sicht, daß sie im Plenum längere, komplexe Äußerungen auf Französisch hervorbringen müssen. Ferner ist zwar aus der Perspektive der Zuhörer ein Verlust an Klarheit bei der Erstbegegnung mit dem Stoff zu bemängeln, die Aufmerksamkeit bleibt jedoch konstant höher als beim Lehrervortrag, weil durch den Wechsel der Akteure die Neugier wachgehalten wird. Darüber hinaus behaupten die Schüler, daß ihre Kameraden den darzustellenden Stoff vereinfachen und damit verständlicher machen, und daß Schüler besser als Lehrer erkennen, wo Schwierigkeiten liegen können. Da im Anschluß der Lehrer ohnehin verbliebene Unklarheiten beseitigt und präzisierend-zusammenfassend eingreift, wird einer eventuell auftretenden Unsicherheit über die Stoffinhalte entgegengesteuert. Grammatikkapitel, deren Schwierigkeitsgrad die didaktische Kompetenz der Schüler übersteigt, sollten ohnehin vom Lehrer selbst vorgestellt werden. Nach Abschluß des Lehrwerkes, also am Ende der 10.Klasse und in der 11.Klasse, lasse ich, parallel zur sonstigen Unterrichtsarbeit, Frankreichs Histoire und Géographie systematisch durchnehmen. Als Material verwende ich französische Geschichts- und Erdkundebücher, die in Frankreich in unteren Klassen eingeführt sind, weil Frankreich auf dieser Stufe auf dem Lehrplan steht, die Sprache relativ einfach und die Aufbereitung anschaulich ist. Der Stoff wird nach Regionen (Géographie) und Epochen (Histoire) aufgeteilt und als Referatthemen vergeben. Die Referate verlaufen folgendermaßen: Jede Arbeitsgruppe (2 Schüler) hält einen kurzen Vortrag, bei dem großen Wert auf die Veranschaulichung durch Karten, Tabellen oder sonstige Materialien gelegt wird. Wichtig ist dabei, daß die vermittelten Informationen und Gedanken nicht vorgelesen werden, sondern von den Referenten vorher memoriert und mit eigenen Worten vor dem Plenum vorgetragen werden, wobei die Schüler sich stets vergewissern müssen, daß sie verstanden werden. Dabei sollten pro Kurzreferat nicht mehr als etwa 10 Gedanken mitgeteilt werden und der Vortrag nicht länger als 10 Minuten dauern. Die Referenten haben dem Lehrer im voraus den Text des Referates abgegeben, so daß dieser den Text abtippen und vervielfältigen konnte. Der Text selbst enthält Lücken, die den wichtigsten Begriffen des Vortrages entsprechen. Die in die Lücken passenden Wörter werden unten, am Ende des Textes angegeben, damit herausgesucht werden kann, welches in welche Lücke paßt. Bevor die beiden Referenten den Lückentext austeilen, können sie noch von einem Mitschüler eine Zusammenfassung der von ihnen vorgetragenen Informationen verlangen. Nach Durchnahme des Lückentextes sollte das Blatt als Hausaufgabe zur Memorierung aufgegeben werden. Alle Texte werden gesammelt und es entsteht eine Mappe mit den Grunddaten über die französische Geschichte und die französischen Regionen. SCHLUSSBEMERKUNGEN Während ich beim Verfassen des ersten Briefes meinen Unterricht relativ konkret beschreiben konnte, fiel mir beim zweiten Brief auf, daß ich immer abstrakter wurde. Dies liegt daran, daß die Arbeitsformen sich im Laufe der Zeit von denen eines "traditionellen" Unterrichts doch so weit entfernen, daß sie ohne visuelle Veransschaulichung nicht mehr befriedigend vermittelt werden können. In diesem Sinne möchte ich auf folgendes hinweisen: Grundsätzlich bin ich bereit, auf Fachsitzungen aufzutreten und mit Schülern zu zeigen, wie ich arbeite. Allerdings sollte die Schule nicht allzuweit von meinem Wohnort liegen (also möglichst im süddeutschen Raum). eMail-Kontakt: jpm@ldl.de Interessierte Kollegen können meine Filme (7. bis 11. Klasse) von den Landesbildstellen ausleihen, oder gar über das FWU erwerben. Anschrift des FWU: Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Bavaria-Film-Platz 3, 82031 Grünwald.
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